Pure Besinnlichkeit statt platte Produktplatzierung bei deutschen Handelsketten

Die Lebensmittelbranche  hat sich zur Weihnachtszeit ordentlich ins Zeug gelegt. Wer sich die TV-Weihnachtsspots einiger großer deutscher Handelsketten Ende des vergangenen Jahres angeschaut hat, konnte schnell bemerken, dass klassische Produktplatzierung sicher nicht das erklärte Ziel war. Vielmehr zielte der Ansatz von EDEKA und REWE auf „Querdenker“ ab – und ist vielleicht eine neue Erfolgsstrategie, die wir 2016 öfter zu sehen bekommen werden.

EDEKA zeigte sich 2015 melancholisch und wagemutig

Denn geht es nach Klicks, Likes und Shares, darf sich EDEKA offiziell die erfolgreichste Marke 2015 im Social Web nennen. Das allein ist natürlich noch kein Garant für den Erfolg eines Unternehmens. Jedoch ist es schon mal ein hilfreicher Pluspunkt, möchte man meinen.

Der Weihnachtsspot von Edeka zum Thema “#Heimkommen“ (Kreation: Jung von Matt) dürfte zuletzt das Sahnehäubchen auf der viralen Erfolgs-Torte gewesen sein: Ihr erinnert euch sicher noch an die vorherigen Spots “Supergeil“ mit Friedrich Liechtenstein oder “How much is the fish“ mit H.P. Baxxter. Doch während Friedrich Liechtenstein im Video gelegentlich vor einem Edeka-Supermarkt performte und H.P. Baxxter im selbigen den Einkaufswagen schob, verzichtete das Unternehmen im Weihnachtsspot 2015 gänzlich auf auffällige Marken- bzw. Produkteinblendungen:

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Warum? Die Entscheidung für oder gegen einen Kauf fällt maßgeblich im Unterbewusstsein – und bei eben jenen Assoziationen setzt EDEKA an: Hierbei geht es nicht darum, ein beliebiges Produkt aus dem breiten Spektrum in den Fokus zu rücken, sondern ein positives Gefühl zu erzeugen, das mit der ganzen Marke verbunden ist. Hinzu kommt, dass EDEKA in Deutschland bereits sehr bekannt ist und es sich somit leisten kann, Marken- bzw. Produkthinweise auf ein Minimum zu reduzieren.

Mit mittlerweile über 45 Millionen Klicks auf YouTube hat der EDEKA-Spot eine beachtenswerte Reichweite. Natürlich stellt sich bei alledem aber die entscheidende Frage, wie sich die Käuferschaft bzw. die anvisierte Zielgruppe infolge des Spots verhält. Und genau das könnte die Krux sein.

Wenden wir den Blick also von der viralen Reichweite zur Verkaufswirkung: Laut einer Studie von Ratingagentur Advertising, Institut zur Analyse und Optimierung von Werbung, weckt der Spot im Unterbewusstsein negative Assoziationen wie Trauer, Tod und Einsamkeit. Genau diese Assoziationen brächten die Betrachter schließlich mit Edeka in Verbindung. Die Folge:

Abschreckung statt Kaufimpuls!

Der Spot habe daher eine ‘verkaufshemmende Wirkung auf den Betrachter‘, meint James Miller, Co-Geschäftsführer von Ratingagentur Advertising, in der Studie von Dezember 2015 und das Unternehmen könne von Glück reden, dass es keine Logos eingeblendet habe.

Doch könnte der Spot je nach Perspektive nicht genauso gut positive Assoziationen hervorrufen wie Zusammenkunft, Freude und Gemeinschaft, Hoffnung, neue Chance, Wiedergutmachung und Vergebung? Ob sich Edeka mit seinem Weihnachtsspot tatsächlich ins eigene Fleisch geschnitten hat? Diese Betrachtungsweise könnte möglicherweise etwas zu kurz gegriffen sein. Fakt ist: Der EDEKA-Spot verbucht auf YouTube nach wie vor hohe Klickzahlen und hat es geschafft, sich zum Weihnachtsgeschäft vergangenes Jahr populär ins Gespräch zu bringen.

(Das Komikerduo Joko und Klaas rechnet in seiner bekannten TV-Show Circus HalliGalli übrigens auf seine ganz eigene Weise mit dem Spot ab: https://youtu.be/ifg6SHfpMxE. Aber das sei nur am Rande erwähnt.)

REWE setzte zu Weihnachten auf Bilder statt Worte

Auch REWE präsentierte sich in seinem TV-Spot „Weihnachten von Herzen“ (Kreation: Thjnk)  2015 mit melancholischer Musikbegleitung. Allerdings finden im REWE-Video keine Dialoge statt, der Fokus liegt auf Bild und Musik. Prima! Sogar Konsumenten, die (wie ich) gerne mal in Werbepausen den Ton lautlos schalten, könnte der Spot dank der Bilder noch irgendwie erreichen. Wäre nicht die Verbindung zum anzupreisenden Produkt auf den ersten Blick schwammig:

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Hier liegt die Gemeinsamkeit zu EDEKAs Werbespot: der Verzicht auf Marken- bzw. Produkteinblendungen. Nur am Ende ist jeweils das Logo zu sehen – quasi als kurze Erinnerung, wer für den Beitrag verantwortlich zeichnet. Das ist vielleicht auch gut so, wenn man bedenkt, dass Marke und Produkt im Spot höchstens als Nebendarsteller zur Geltung kommen: Sowohl REWE als auch EDEKA scheinen den Fokus des Betrachters gänzlich auf die persönliche, emotionale Botschaft zu legen und zu diesem Zweck „ablenkende“ oder plakative Faktoren wie Markeneinblendungen dezent in den Hintergrund zu rücken. Der Vorstoß beider Marken, genau so und eben nicht anders vorzugehen, ist ein spannender und möglicherweise auch zukunftsweisender.

Haupt- und Nebenrollen werden neu vergeben

Statt Produkten werden Gefühle, Emotionen und Assoziationen zu Hauptdarstellern des Storytellings. Dieser Ansatz ist nicht wirklich neu. Neu aber ist die Strategie der Supermärkte, diese Emotionen nicht aufs Produkt, sondern auf die Marke im Ganzen und insbesondere die Beziehung zum Kunden zu übertragen: Die Marken beantworten nicht primär die Frage „Wer sind wir und was bieten wir?“, sondern „Welche Lebenssituationen und Gefühle verbindet unsere Marke mit unseren Kunden?“.

So setzen EDEKA und REWE in ihrer Weihnachtskampagne nicht auf Testimonials oder darauf, ihre Waren und Mitarbeiter zu inszenieren. Die Kernbotschaft zielt auf etwas Höheres ab: auf den Bundespräsidenten und gleichzeitig auch den Außenminister in der Unternehmens-Republik: die Marke. In den Spots wird sie mit bestimmten Assoziationen besetzt, die sie bestenfalls auf sämtliche Markenelemente und somit auch auf dazugehörige Produkte überträgt.

Die Marke – unser guter Freund und Helfer

Der Weg von der Assoziation bis zum Produkt scheint nur ein längerer zu sein als bei klassischer Produktwerbung. Schließlich muss ich mir als Zuschauer selbst meinen Teil denken, und bekomme die Marken- bzw. Produktbotschaft nicht platt auf dem Teller serviert. Möglicherweise ist das im Fall von Lebensmitteln aber eine geschickte Strategie – wenn sie denn gut durchdacht ist! Immerhin geht es um nichts Geringeres als unser Unterbewusstsein, das angesprochen wird. Und beim Thema Essen dürfte dort Aufmerksamkeit herrschen, schließlich gehört die Nahrungsaufnahme zu unseren unabdingbaren Grundbedürfnissen.

Wir kaufen am liebsten Produkte von Unternehmen, die wir bereits kennen, die wir mögen und denen wir vertrauen: Marken, mit denen wir positive Erlebnisse oder Gedanken verbinden, die uns sympathisch sind und mit denen wir in unserer Freizeit vielleicht auch mal einen Kaffee trinken oder sie um Rat bitten würden, wären sie Menschen.

EDEKA und REWE feiern das Fest der Liebe, die Familie und die Freundschaft. Seit wann? Spätestens seit wir Konsumenten eine unglaublich große Auswahl an Anbietern zu allen möglichen Produkten und Dienstleistungen haben. Seit wir uns nicht mit Erstbestem zufriedengeben (müssen) und uns auch bei der Auswahl unseres Lieblings-Supermarkts von langweiliger, unkreativer Werbung durchaus abschrecken oder unterbewusst beeinflussen lassen. Zu diesem Anspruch gehört aber auch, dass Konsumenten nicht gleich in Begeisterung ausbrechen, nur weil ein Werbespot kreativ ist und Unerwartetes bringt. Das zeigen auch die vielfältigen Reaktionen in sozialen Medien.

Nutzer-Meinungen in sozialen Netzwerken

Werfen wir einen Blick ins Web: Die Netz-Gemeinde schien zwiegespalten angesichts der Weihnachtsspots von REWE und EDEKA. Hier einige Beiträge, gefunden auf facebook.com und twitter.com:

OMSAG-Blog: Marketing-Kampagnen Handelsmarken_Zitat 1

@berlincore auf Twitter

OMSAG-Blog: Marketing-Kampagnen Handelsmarken_Zitat 2

Marco Ripanti auf Facebook

OMSAG-Blog: Marketing-Kampagnen Handelsmarken_Zitat 3

Micky Beisenherz auf Facebook

OMSAG-Blog_Marketing-Kampagnen Handelsmarken_Zitat 4

@bmkraus auf Twitter

OMSAG-Blog_Marketing-Kampagnen Handelsmarken_Zitat 5

@ralphruthe auf Twitter

Vermarktungsnachteile der Lebensmittelbranche umgehen?

Lebensmittel sind sicher schwieriger zu vermarkten als Trend-Produkte wie Smartphones oder Tablets: Die wenigsten werden mit Nahrung  Eigenschaften wie hip, cool, modern, innovativ usw. in Verbindung bringen (zumindest nicht, wenn man es ihnen vorher nicht über Werbung vermittelt hat). Produkte in den Hintergrund zu stellen, könnte darum für Handelsketten wie EDEKA und REWE ein Weg sein, bestimmte Eigenschaften in Bezug auf die gesamte Marke in den Köpfen der Konsumenten zu verankern. Voraussetzung: Der Konsument bleibt gedanklich in der Lage, zwischen Werbung sowie Marke und Produkt selbst die Brücke zu schlagen („Querdenker“). Gelingt das nicht bzw. schaffen Unternehmen zu komplizierte, völlig abstruse oder zu negativ besetzte Verbindungen, kann das Ganze nach hinten losgehen. Das Risiko könnte bestehen, das Produkt zu sehr in den Hintergrund zu verdrängen und nicht mehr die Zielgruppe zur Gänze zu erreichen.

Wenn ein Produkt unter Qualitäts- oder Imageproblemen leidet (nur theoretisch angenommen), reicht es dann aus, den Markennamen positiv zu besetzen? An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass zur Weihnachtssaison vergangenen Jahres parallel weitere TV-Werbespots liefen, in denen sehr wohl noch Produkte, Logos u. ä. der Marken mehrfach zu sehen waren. Wenn Handelsketten bzw. Supermärkte wie EDEKA und REWE aber künftig intensiver diese Vermarktungsstrategie verfolgen, so wäre das Risiko mangelnden Produktbezugs zumindest im Hinterkopf zu behalten.

Verzicht auf plakative Produktplatzierungen und Markenstempel

Kennt ihr Familie Heins? Die Deutsche Telekom hat mit der sympathischen, fiktiven Familie einen direkt mit der Marke verbundenen Personenkreis eingeführt, der ähnlich der „Nutella-Familie“ hohen Wiedererkennungswert und Persönlichkeit schafft. (Noch) wird dort nicht aufs Produkt verzichtet. So auch nicht im Telekom- Weihnachtsspot „Weihnachten bei Familie Heins“ (Kreation: DDB). Zumindest wandern im Video aber sämtliche technische Gerätschaften in die Schublade, um sich zum Fest ganz besinnlich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Ein Vorstoß, der mit dem Telekom-Slogan „Erleben, was verbindet“ selbstironisch kokettiert.

Das ist übrigens bereits die 11. Episode mit Familie Heins, die sogar ihren eigenen YouTube-Kanal hat und nicht nur auf dem Telekom-Channel zu sehen ist. Wie die zwei großen Handelsketten in ihren Weihnachtsspots 2015, verzichtete auch die Telekom auf den plakativen „Markenstempel“. Es würde mich auch nicht wundern, wenn das Ganze bald in Serie geht und Familie Heins GZSZ im Vorabend-Programm Konkurrenz macht. Oder wenn Friedrich Liechtenstein 2016 in seiner eigenen Daily Soap über die deutschen Bildschirme flimmert – so ähnlich wie in der deutschen Comedyserie „Ritas Welt“, nur statt im Trispa-Supermarkt eben im EDEKA.

In jedem Fall bin ich sehr gespannt, was die deutschen Handelsketten bzw. großen, bekannten Marken sich als nächstes einfallen lassen. Ob die Richtung, die sie eingeschlagen haben, in diesem Jahr auch unabhängig vom Weihnachtsgeschäft wegweisend bleiben wird? Mich persönlich spricht die Herangehensweise von EDEKA und REWE an. Denn die Marken (und ihre Kreativagenturen) stellen damit unter Beweis, dass sie sich trauen, über gängige Marketing-Methoden hinauszublicken und vom Grundsatz her verstanden haben, dass platte Werbebotschaften uns nicht so tief von einer Marke überzeugen können wie die „Empfehlung unseres eigenes Unterbewusstseins“. (Man bedenke auch, dass das gesprochene Wort bei zwischenmenschlicher Kommunikation im Allgemeinen gegenüber der nonverbalen Kommunikation einen geringen Anteil ausmacht. Eine Hauruck- bzw. Schreihals-Marketing-Methode à la „Wir sind die besten – kauft uns!“ trägt daher auch in der „Marke-Konsument-Kommunikation“ vermutlich nicht langfristig Früchte.)

Nun seid ihr an der Reihe: Was haltet ihr von den EDEKA- und REWE-Spots?